© DAV Schwabach Ortsgruppe Schwanstetten

Gipfelwelt Karwendel: Eisenwege, brüchiges Gestein und Wetterkapriolen

Ein Erlebnisbericht

19.07.2024

Das Ziel unserer Tour sollte die Überschreitung des Großen Bettelwurfs werden. Mit einer Höhe von 2.725 Metern zählt er zum vierthöchsten Gipfel im Karwendelgebirge. An Anspruch fehlt es ihm nicht. Aber nicht nur der Berg an sich, sondern auch das Wetter stellte uns vor Herausforderungen.

Bis zum Vorabend sagten uns die Wettermodelle für unsere Wochenendtour am 19./20. Juli 2024 noch „Kaiserwetter“ voraus. Am Morgen vor der Abfahrt zogen aber „schwarze Wolken“ in der Wettervorhersagen auf. Die Gewitterneigung sollte zum Nachmittag hin ansteigen und eine Regenfront wollte sich entleeren.

Zunächst starteten wir aber mit viel Sonne und in hochsommerlichen Temperaturen zu viert am späten Vormittag nach einer etwas staugeplagten Anfahrt auf unsere Tour. Bereits von Hall (i. Tirol) aus konnte man die steil aufragenden Kalksteinwände und unseren Stützpunkt erblicken.

Die Tour begann am Ortsrand von Absam an einem überraschenderweise kostenlosen Parkplatz. Von dort ging es hinein in das Halltal - ein kleines, naturbelassenes Seitental des Inntals. Oberhalb des dortigen Fahrwegs verläuft der wunderschöne „Fluchtsteig“. Da entlang des Taleinschnitts auch der Weißenbach seinen Weg gefunden hat, bot das feucht-warme Klima eine Einladung für Bremsen, die in uns eine nährstoffreiche „Futterstation“ fanden. Nach einer guten Stunde „Warmlaufen“ verließen wir den Talweg in Richtung Bettelwurf.

12.00 Uhr - Jetzt mussten wir uns entscheiden: Aufstieg über den Normalweg (Bergsteig), der uns in ca. 3 Stunden zur Hütte bringen sollte oder die ursprüngliche Tour über den Absamer Klettersteig in ca. 4 Stunden. Ein Blick auf die Uhr und die Wetterprognosen ließ uns den gemeinsamen Entschluss treffen, dass wir aufgrund der individuellen Fertigkeiten und auch der kleinen Gruppengröße über den Klettersteig laufen wollen.

Der Absamer Klettersteig ist mit der Schwierigkeit C beschrieben. Es sind 1.300 Klettermeter und 600 Höhenmeter in der Anlage zu bestreiten. Er befindet sich in einem Südhang und führt in einer sehr schönen Linie durch die Platten nach oben. Auch Schluchten müssen gequert und eine Seilbrücke kann bewältigt werden. Insgesamt ist er ein langer und anspruchsvoller Kletterseig. Der „Absamer“ war auf alle Fälle eine sehr schöne und lohnenswerte Unternehmung.

Dunkle Wolken zogen auf: Es war zwischenzeitlich fast 16.00 Uhr, als sich am Horizont was zusammenbraute. Der Klettersteig war mit 3 Stunden veranschlagt und wir befanden uns leider noch immer in der Wand. Wir kamen nicht so schnell vorwärts, als wir gedacht hatten. Die ein oder andere Unsicherheit schüchterte eine/-n Teilnehmer*in etwas ein und kostete deshalb ziemlich viel Kraft. Wir beschlossen, lieber langsamer, sicher und stressfrei, als über den körperlichen Verhältnissen mit Überforderung, die im schlimmsten Fall zum Sturz führt, weiterzusteigen. Doch leider holte uns das Wetter ein. Gegen 17.00 Uhr war der Regen und das Gewitter über uns. Glücklicherweise genau zu dem Zeitpunkt, als wir im oberen Bereich des Klettersteigs für ein Teilstück ins Gehgelände aussteigen mussten. Wir suchten uns einen geeigneten Regenschutz unter Latschen und harrten der Dinge. Das Gewitter kreiste über uns. Nach einer dreiviertel Stunde nutzten wir die Chance – das Gewitter war ein ganzes Stück abgezogen und der Regen hatte nachgelassen. Aber leider mussten wir nochmals für ein kurzes Stück ins Drahtseil. Aber auch dieser Abschnitt wurde mit Bravour gemeistert. Wir waren so froh, dass das Glück an unserer Seite war. Und auf ging es zum 300-Höhenmeter-Endspurt zur Hütte.

Die Bettelwurfhütte – schön auf einem Felsplateau gelegen. Die jungen Hüttenwirte sind sehr freundlich und bemüht, Qualität und regionale Produkte anzubieten. Aber zuerst hieß es für uns: Zimmer beziehen, raus aus den nassen Klamotten und trocken legen. Danach konnten wir den Tag mit einen gemütlichen Hüttenabend ausklingen lassen.

Die Nacht blieb regnerisch und der Morgen danach war auch nicht besser. Als sich der Himmel in ein hellgrau verfärbte, wollten wir die Überschreitung des Bettelwurfs wagen. Als Tendenz sollte eine Wetterbesserung eintreten. Aber kaum hatten wir unsere Schuhe an und öffneten die Tür nach draußen, standen wir wieder im soeben einsetzenden Regen. Ok, alles zurück: Also gab es in der Stube noch eine Tasse Tee und eine Spielerunde. Der „Krisenstab“ tagte - ein Plan musste her! Es kristallisierte sich heraus, dass die Tour nicht wie geplant beendet werden konnte, da zwei Teilnehmer am Abend wieder zuhause sein mussten. Somit entschieden wir uns dafür, dass die beiden ins Tal abstiegen und die beiden anderen auf der Hütte abwarteten, bis sich das Wetter beruhigte.

Mittags war es soweit. Die Überschreitung begann kurz über der Hütte mit einem drahtseilversicherten Steig der Schwierigkeit B/C. Auf dem Weg nach oben ist ein Abstecher auf den Kleinen Bettelwurf möglich. Aber Vorsicht – viele Berge bekommen gar keines, dieser Berg hat sogar zwei Gipfelkreuze! Auf dem Weiterweg nach oben folgte nun der Klettersteig mit einer sehr schwierigen Stelle in C/D. Auch der Gipfel des Großen Bettelwurfs verfügt über zwei Endpunkte – eine auch vom Tal aus sichtbare Eisenpyramide und nach hinten versetzt ein Gipfelkreuz. Die Belohnung war ein grandioser Blick in den Karwendel. Der Abstieg führte über den anspruchsvollen „Eisengattergrat“ nach unten. Und um es nicht zu verschweigen – die Sonne ließ sich auch blicken. Der Klettersteig war gut versichert, aber das Karwendelgebirge ist bekanntlich eine brüchige Schutthalde. Überall kraxeln Gämsen über die Felsen und treten mitunter auch Gestein los. Immer wieder kann man die hinabrollenden Steine hören. Und das Glück war uns hold, als uns einer dieser Brocken von oben kerzengerade „nur“ vor die Füße fiel.

Der Weg brachte uns zurück zur Bettelwurfhütte, wo wir uns spontan für eine weitere Nacht einquartierten. Ein Radler und ein Kaiserschmarrn auf der Terrasse „toppten“ die gelungene Überschreitung. Bei einem atemberaubend aufgehenden Vollmond mit Bergkulisse endete der Abend.

Der Abstiegsweg führte uns am nächsten Morgen bei strahlenden Sonnenschein die ca. 1.200 Höhenmeter nach unten, wo ein Sprung in den eiskalten Weißenbach für die gewünschte Abkühlung zum Abschluss sorgte.

PS: Das Bergjahr 2024 hat sich bereits besonderen Schuh-Geschichten (siehe Tour zur Reiteralpe) verschrieben. Dies setzte sich dann auch bei dieser Tour fort. Zwei der Teilnehmerinnen hatten nämlich die identischen Bergschuhe, somit auch in Farbe und Größe. Der kleine Unterschied war nur: Paar 1 war alt und abgewetzt – Paar 2 war nagelneu, blitzeblank und mit medizinischen Einlagen bestückt. In den Regenwirrungen am zweiten Tag kam es dann dazu, dass Paar 1 mit der Teilnehmerin den Abstieg antrat und Paar 2 zur Überschreitung aufbrach. Doof nur, dass die Trägerinnen nicht zu ihren eigenen Schuhen gehörten. Fazit: zwei Tage in fremden Schuhen inkl. individuellem Schuhbett ist eine ganz besondere Herausforderung 😊

Andrea Fillinger
Tourenleiterin